Symbio(gene)tische Prozesse und Denkfiguren jenseits von Dichotomien
Seminar an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg von Marion Mangelsdorf & Rachel Staffa
Mensch-Tier, Natur-Kultur, Mann-Frau; in westlichen Gesellschaften und Epistemologien sind wir es gewohnt, in Dichotomien zu denken. Geschlechterforschung, insbesondere die feministischen Science & Technology Studies (STS) haben sich mit dieser Denktradition kritisch auseinandergesetzt. Sie betonen das Kontinuum, wenn es um Fragen von Geschlecht (sex/gender) geht, ebenso wie sie auf die Verwobenheit von uns Menschen mit Pflanzen, Tieren, Pilzen oder Mikroorganismen aufmerksam machen. Unsere Verwobenheit mit und wechselseitige Abhängigkeit von anderen Lebensformen erinnert uns daran, dass wir aus Kooperationen oder vielmehr aus symbiogenetischen Prozessen hervorgegangen sind und auch nur durch diese fortexistieren können. Donna Haraway, eine prominente Vertreterin der feministischen STS, bringt dies u.a. in ihrem Werk Staying with the trouble prägnant zum Ausdruck: “We become-with each other or not at all.” (Haraway 2016: 4)
Zunächst wollen wir uns im Seminar theoretisch mit dem lebendigen Prozess der Symbiogenese beschäftigen, den die einflussreiche Biologin Lynn Margulis (2021) in ihren Arbeiten zur Endosymbiontentheorie als stark evolutionsprägendes Prinzip identifizierte. Im Anschluss daran wollen wir uns mit drei Denkfiguren befassen : Dem Rhizom (u.a. Deleuze/Guattari, Tsing), Gaia (u.a. Margulis, Lovelock, Latour, Haraway) und einem Tentakulären Denken für das Chthuluzän (Haraway). Aufbauend darauf diskutieren wir die Potenziale und Herausforderungen einer symbiotischen Weltkonzeption zur Überwindung von klassisch westlichen, auf Linearität, Konkurrenz und Dichotomien aufbauenden Denk-Handlungs- und Wahrnehmungsmustern.
Exkursionen
Diese theoretischen Überlegungen sollen dann im Rahmen von zwei Exkursionen mit Praxispartner:innen produktiv angewandt und konkret reflektiert werden: Zum einen besuchen wir im November 2022 das Demeter Weingut Vorgrimmler. Dorthin begleiten wird uns die Künstlerin Celia Brown, die über die Arbeit des Winzerbetriebs zwei Kunstvideofilme mit dem Titel „Persephone am Tuniberg“ gestaltet hat. Zum anderen besuchen wir im Januar 2023 die Wildtierökologische Abteilung der Forstlichen Versuchsanstalt Freiburg (FVA).
Für die Exkursionen sind u.a. folgende Fragen relevant: Welche dynamischen Wechselwirkungen existieren zwischen Trüffeln und Haselnusssträuchern und was hat das mit dem Weinanbau zu tun? Inwiefern müssen wir unser Verständnis von und unsere Beziehung zu den im Schwarzwald zurückkehrenden ‚wilden‘ Wölfen anders/neu denken?
Kurz gesprochen: Was bedeutet es, mit allen Sinnen Miteinander-zu-Werden (becoming-with)? Welche Chancen und Herausforderungen liegen in diesen dynamischen Prozessen?